Orgelwerkstatt Rotenburg

200 Jahre Orgelbau in Rotenburg an der Fulda

Bericht über die Jubiläumsveranstaltungen im Juni 2008 von
Egon Schwarb, em. Organist der Klosterkirche Muri AG, Schweiz

Im Orgelbauerhaus wurde geputzt und ummöbeliert. Das Noeske-Team wollte das grosse Fest mit den Orgelbauerfamilien, mit Nachbarn und Freunden aus Nah und Fern in den Werkstatträumen feiern. Am Samstag Abend versammelten sich die geladenen Gäste zum Werkstattkonzert. Als Festtagsmusikus konnte man den jungen Professor für Generalbass, Cembalo und Orgel an der Schola Cantorum Basiliensis, Jörg-Andreas Bötticher, gewinnen. Jetzt als Cembalist gestaltete er zusammen mit dem Flötisten Peter Hübner aus Hildesheim eine vergnügliche, jugendlich sprühende Ouvertürenmusik. Auf gedeckten und geschmückten Werkbänken waren Köstlichkeiten bereit, während der Blick haften blieb bei einer neuen zweimanualigen Orgel mit einem königlichen Eichengewand oder bei handgehobelten Ladenteilen und Holzpfeifen. Festspielreif war schliesslich das faszinierende Feuerwerk im Garten vor der Kulisse der Baumriesen und schwarzer Wolken, die dem Mond die Freude des Mitguckens vergellten. Manche blieben bis spät in die Nacht in freundschaftlichen Gesprächen; die meisten Orgelbauer wohnen in der geräumigen Gartenvilla, wo ohnehin Arbeits- und Familienzeit ineinander fliessen.

Die öffentlichen Festtagsveranstaltungen hatten die Orgelbauer in der Stadt organisiert, wo in beiden Kirchen Noeske-Orgeln zu hören sind. In der Evangelischen St. Jakobikirche steht in einem herrlichen Gehäuse von 1556/1682 die 1990 rekonstruierte, dreimanualige Orgel mit 32 Registern, verteilt auf Hauptwerk, Brustwerk, Echowerk und Pedal. Im Vesperkonzert spielte Gastorganist Bötticher Werke von Böhm, Buxtehude, Hanff und Krebs, vom Cembalo begleitet interpretierte er zusammen mit Peter Hübner die dreisätzige Sonate in g-moll. Ein Vergnügen mit nachhaltiger Wirkung war die munter perlende Cembalo-Wiedergabe der 32 Buxtehude-Variationen "La Capricciosa". Diese Orgel hätte der junge Bach besucht; sie hat Charme, Vokalität und strahlende Majestät. Peter Kozeluh, der Primus im Werkstatt-Team, würde sagen: Sie hat eine singende Seele!

Zum Abschlusskonzert strömten Orgelfreunde aus Rotenburg und Umgebung in die Stiftskirche.
Viele waren früh genug an Ort, um die im Chor aufgestellte Galerie "Orgelbau Rotenburg im Bild" zu studieren. In Gesprächen mit Besuchern war spürbar, dass die Noeskeleute in der Stadt geschätzt sind, und ich konnte verstehen, dass auch die Verantwortlichen der Stiftskirche ihre Orgelbauwerkstatt betrauten mit dem Neubau einer Orgel mit 38 Registern: Hauptwerk 13 - Brustwerk 11 - Echowerk 3 - Pedal 11. Das dritte Programm gestaltete der Basler Organist zusammen mit der Mezzosopranistin Mareike Morr aus Rotenburg mit Orgel- und Kantatenmusik von Johann Sebastian Bach. Sehr deutlich kamen die kammermusikalischen Registerfarben zum Tragen, berückend der Dialog mit Principal 8' und Singstimme, eine Hohe Schule des vokalen Gesprächs. Selten wird eine Singstimme dermassen überzeugend zu einem neuen, gleichwertigen Orgelregister, wie an diesem Abend. Ein Kompliment für die hörend singende Person wie für den klanggestaltenden Pfeifenmacher. Dem Rezensenten sei ein kritischer Hinweis erlaubt: Das Orgelkleid ist fast zu vornehm hinter der faden Emporenfront. Den Rotenburger Orgelbauern würde er eine Emporenneugestaltung anvertrauen.

 

Werkstatt-Chronik


1808 Orgelbauer Johannes Vogt wird in Rotenburg aktenkundig.
1833 Vogts Mitarbeiter und Schwiegersohn, Friedrich Bechstein, übernimmt die Werkstatt.  
1841 sein Altgeselle, Valentin Möller, wird Nachfolger.  
1887 nach dessen Sohn Heinrich übernimmt August Möller die Orgelbauerei.  
1964 Dieter Noeske wird Inhaber der Orgelbau-Werkstatt:  
  Lehrjahre bei Karl Gerbig in Eberswalde.  
  Gesellenjahre bei der Firma Karl Schuke in Berlin.  
  Meisterprüfung bei Paul Ott in Göttingen.  
  In 40 Jahren zahlreiche Restaurierungen und über 120 neue Orgeln in ganz Deutschland.  
2008 Orgelbaumeister Peter Kozeluh, seit 25 Jahren im Rotenburger Betrieb tätig, wird Teilhaber der Werkstatt.  

 

Ziele und ein Berufsleitbild

Gefilterte Gesprächsergebnisse mit Mitgliedern des Noeske-Kozeluh-Teams:

In der Rotenburger Orgelbauerei sollen Generationen überdauernde Instrumente nach bewährten, klassisch-handwerklichen Vorbildern entstehen.

Die Orgeln sollen Werkzeuge für Organistinnen und Organisten sein, die in ihrer Ausdruckskraft und Lebendigkeit höchsten musikalischen Ansprüchen gerecht werden.

Instrumente von hohem künstlerischem Wert können nur entstehen, wenn jeder Mitarbeiter mit seinen spezifischen Begabungen zum Gelingen der Arbeit beiträgt.

Jeder Team-Mitarbeiter bringt Idealismus und Leidenschaft für kunsthandwerkliches Schaffen mit. Er liebt das konzentrierte Verweilen, hat Sinn für die Qualität im Detail und übernimmt Mitverantwortung für eine motivierende Werkstattatmosphäre.

Neben handwerklichem Geschick und Musikalität muss ein Orgelbauer ein feines Gespür für Klang, Technik und Gestaltung haben.

Ein Orgelbaumeister muss sein Instrument angemessen spielen können. Er lernt Vorbildinstrumente verschiedener Kulturkreise kennen und ist ständig bemüht, neue Erkenntnisse zu sammeln und in sein Handeln zu integrieren.

Der Beruf des Orgelbauers kann nicht im modernen Sinn profitabel sein. Jeder Mitarbeiter teilt mit seinen Kollegen die Freude an der Werkstattarbeit und das "Leben in materieller Einfachheit".

Motto und Verpflichtung: Alles Menschenwerk ist Anfang und Hinweis auf ein Höheres. S.D.G. Soli Die gloria / zur Ehre Gottes.

 

Bautechnische Merkmale, abgelesen an neuen Noeske-Orgeln

Eine neue Orgel soll weder eine Stilkopie noch ein Modeprodukt sein. Sie muss nicht "neu erfunden" werden. Die instrumentspezifischen Grundsätze sind von Altmeistern vom Rang eines Arp Schnitger oder Gottfried Silbermann in beispielhafter Vollkommenheit umgesetzt.

Das Programm für eine Orgelbauwerkstatt hat Gottfried Keller verpflichtend formuliert: "Lasst uns am Alten, wenn es gut ist, halten. Neues schaffen jede Stund, aber aufgebaut auf altem Grund."

Die Orgel wird als architektonisch-musikalisch-technischer Organismus geplant und konstruiert. Der Prospekt ist die Aussenhaut dieses Organismus.

Der Gebäuderaum bestimmt Grösse, Aufstellung und Proportionierung der Orgel. Die Innenarchitektur muss für alle Teilwerke eine optimale Klangentfaltung und eine bequeme Zugänglichkeit im Gehäuse ermöglichen.

Das Orgelgehäuse besteht grundsätzlich aus massivem Holz allerbester Qualität. Alle Hölzer sind mindestens 5 Jahre luftgetrocknet. Sowohl Gehäuseteile als auch alle Teile im Innern des Instrumentes werden von Hand gehobelt (geschrubbt). Gehäusekonstruktion und Holzverbindungen sind in klassischer Manier gefertigt und unterstützen dadurch Klangverschmelzung und Resonanz.

Die Windladen sind aus feinstem bis zu 15 Jahren abgelagertem Eichenholz gefertigt. Ebenfalls aus Eichenholz sind die Schleifen, Dichtungen aus hochwertigem Kaschmir, Pulpeten aus Lammleder gefertigt. Ventile und Federn werden ebenfalls nach klassischen Vorbildern hergestellt.

Feinstes Eichen- und Fichtenholz dient zur Herstellung der Tasten. Die Beläge sind in einer Stärke von mindestens 3mm ausgewählt. Alle Teile der Spiel- und Registertraktur sind aus Eichenholz gefertigt. Auch geschmiedetes Eisen kann zur Anwendung kommen. Die Zubereitung der Hölzer ist sehr zeitintensiv, aber nur so entsteht eine Orgeltechnik mit hohem ästhetischem Wert, der dem Äussern des Instrumentes entspricht. Eine weise Konstruktion der Windanlage und eine erstklassige Herstellung der Pfeifen sind brauchbare Grundvoraussetzungen für eine lebendige Intonation. Zum optimalen Klangergebnis sind pro Pfeife bis zu 25 Arbeitsschritte erforderlich. In Form von Improvisation und ausgewähltem Literaturspiel muss die Klangwirkung kontrolliert und optimiert werden. Ein einfaches chromatisches Anschlagen der Töne und einfacher Akkordverbindungen reicht nicht aus.

Nach mehreren tausend Arbeitsstunden in der Werkstatt schickt man eine Orgel auf ihre lange "Lebensreise", ihr eingeprägt die Liebe mehrerer Mitarbeiter, die sie während einer langen Zeit gehegt, gepflegt und kultiviert haben. Orgeln, klingender Ausdruck einer liebenden Seele, singendes Herz einer Stadt, einer Region, eines Landes.

 

Gratulation

Wir gratulieren der Rotenburger Orgelbauerei zum Geburtstag und wünschen ihr weiterhin den Enthusiasmus, der mit kreativer Lust immer Neues schafft.

August 2008
Egon Schwarb, em. Organist der Klosterkirche Muri AG, Schweiz

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